Laudatio von Hans Schödel
- anläßlich der Verleihung des Kulturförderpreises der Stadt Würzburg, Herbst 2018
Meine Damen und Herren,
Das erste mal begegnete ich Johannes Hepp in einem Abstellraum.
Da stand er, zwischen lauter Gerümpel: etwas verloren, ein untersetzter Mann mittleren Alters, die Hände hingen neben dem Körper herunter. Er wirkte ein wenig, als wüsste er selbst nicht, was er hier soll. Absurderweise steckte der ganze Kerl in einem braunen Bärenkostüm – mit Ohren. Nur das Gesicht schaute aus der Kapuze heraus.
Äh, naja - ich habe mich etwas unglücklich ausgedrückt. Ich spreche natürlich nicht von Johannes Hepp SELBST! Zu diesem Zeitpunkt kannte ich den Künstler noch gar nicht.
Es war eine seiner Skulpturen, der ich damals, vor mehr als fünf Jahren begegnete - es ist eine, die mich bis heute begleitet.
Ich war zu Gast in einem Haus, in dem Johannes Hepp zuvor gewohnt hatte, in Munzingen bei Freiburg im Breisgau. Dort studierte er Bildhauerei an der privaten Edith-Maryon-Kunstschule. (Wo er inzwischen übrigens längst selbst als Dozent tätig ist.)
Johannes Hepp ist in der Nähe von Würzburg aufgewachsen.
Und schon als Jugendlicher war er fasziniert von Michelangelo. (J, wirklich - die Waldorfschule machte möglich! ;-))
Dann der Zivildienst in einer Einrichtung in Kanada - der Weg zum Bildhauer geht weiter. Klar: Kanada = viel Wald. Wald = viel Holz. Und klar, dass Johannes Hepp die Gelegenheit ergriff - und eine Kettensäge. Damit fällte er einen Baum. Und zumindest unbewusst wohl auch die Entscheidung, dass er mit diesem gefährlichen Werkzeug weitermachen wollte.
Zunächst stellte sich für den jungen Mann allerdings die Frage: Was studieren? Psychologie? Oder Kunst?
Ich bin froh, dass es die Kunst wurde. Ebendort in Munzingen. Wo sich Holz bald als Johannes Hepps bevorzugter Werkstoff herausbildete. Nein, nicht Marmor wie bei Michelangelo - macht viel zu viel Dreck und dauert viel zu lange. Holz, das ist es! Man kann schnell zu Ergebnissen kommen, sieht, was sich da bildet.
Ja, Johannes Hepp ist ein bisschen ungeduldig. Nicht hektisch - wer ihn kennt, würde das niemals denken. Nein, er will selbst sehen, was sich da bildet. Will seinen Gestalten begegnen.
Dafür entwickelte er mit erstaunlicher Geschwindigkeit eine handwerkliche Perfektion.
Mit der Kettensäge und dem bedeutend feineren Schnitzeisen.
Denn, ja, Johannes Hepp ist in gewissem Sinne auch ein Perfektionist. Und ich finde: Was er schafft, ist perfekt, aber ohne glatt zu sein.
Vielleicht trifft es eher der Begriff „harmonisch“.
Da stimmt irgendwas, da ist was, was dieses Stück Holz zum Wesen macht - auch wenn diese Hände, Moment mal …, ja viel zu gross sind. Auch wenn überall noch die Spuren der Werkzeuge erkennbar sind. Und doch … Da schaut einen jemand an!
So war das auch, als ich damals in dieser Abstellkammer dem kleinen Bärenmann begegnet bin. Er hat mich förmlich hineingezogen, in diesen Berg von Dingen, auf dem er thronte.
Denn, ja, manbegegnetden Figuren von Johannes Hepp. Man betrachtet sie nicht einfach nur – man tritt sofort in eine Beziehung zu ihnen. Oder, nein, besser: Sie treten in Beziehung zu uns. Wenn wir uns darauf einlassen, und das ist fast unausweichlich. Denn diese Figuren lassen einen nicht wieder aus.
Das passiert meistens eher nicht in einer Abstellkammer. (Da war der Bärenmann von damals übrigens gelandet, weil er dem Künstler eben noch nicht perfekt genug war.) Das passiert vor allem in Ausstellungen und Galerien, wo Johannes Hepp zu Recht längst gut gebucht ist. Wenn Sie’s noch nicht erlebt haben, gehen Sie in den Kulturspeicher, dort treffen Sie gleich ein gutes Dutzend Bärenmänner, die auch noch Karussell fahren.
WARUM eigentlich diese Männer im Bärenkostüm? Was haben die? Letztendlich etwas, das michdazu gebracht hat, dass Jahre nach unserer ersten Begegnung einer von ihnen bei mir zuhause eingezogen ist.
Vor allem: Wer sind die? Wo kommen die her? Wer sind all die anderen Figuren von Johannes Hepp? Die alle so individuelle Gesichtszüge haben, dass man unwillkürlich meint, ihnen schon mal irgendwo begegnet zu sein. Nur wo….?
„Es sind alles menschen“, sagt Johannes Hepp. „Neue und alte Bekannte.“
Der KENNT einen Mann, der sich als Bär verkleidet?
Naja - nicht wirklich. Aber der Kerl ist ihm erschienen, als Bild aufgetaucht in seinem Kopf. In einer Art Tagtraum. Vielleicht wären des Waldlaufs, zum dem sich Johannes Hepp regelmässig aufmacht.
Denn ja, der Kopf spielt für dein Künstler eine Rolle bei seiner Arbeit. Viel mehr aber noch die Intuition. Das Unbewusste … - da ist sie also doch wieder, die Psychologie.
„Es wird eher gut, wenn ich mache, worauf ich Lust habe!“; sagt Johannes Hepp.
Wie gut, dass er ganz offensichtlich ein großes Maß an Lust aufbringt.
Und, ja, auch eine enorme Arbeitskraft.
Arbeitswut?
Ein bisschen schon. „Schaffen und schaffen und machen und machen“ - sowas hört man, wenn man Johannes Hepp danach fragt. Er sagt, es falle ihm schon oft schwer, die Arbeit loszulassen. Er sagt, er habe ein Bedürfnis nach Fülle. Arbeitet diszipliniert und mit erstaunlicher Geschwindigkeit Gestalten und Gesichter aus einem Stück Holz heraus. Übrigens nach wie vor auch in richtig groß, indem er virtuos die Kettensäge schwingt. Aber meist doch im handlichen Kleinformat. Davon passt mehr rein in die rätselhafte Welt des Hepp’schen Ateliers. Und, vor allem, Johannes Hepp kann den kleinen Homunkuli schneller begegnen, kann schneller sehen, wie das innere Bild Realität wird. Es überprüfen, verändern.
Täusche ich mich, oder sind es vor allem Männer, die da entstehen?
Naja, ja … Frauenfiguren haben für ihn schnell so etwas madonnenhaftes, geraten ihm fast heilig. Und eben, vielleicht entstehen da auch lauter kleine Johannes Hepps…
Aber, ha!, da hängt ja ein Schürt aus dem Holzkopf, an dem man ziehen kann. Der Kopf klappt auf, drin: Steht eine Frau.
Und da ist sie, die zweite Konstante in der Arbeit von Johannes Hepp: Neben diesem Moment der intimen Begegnung mit seinen Figuren gibts ganz oft einen gewissen, etwas melancholischen, Humor.
Manchmal einen richtigen Lacher. Wer ist zum Beispiel dieser kleine Depp da an der Wand, der unablässig einer riesigen Weißwurst nachschaut, die vor seinem Kopf hin und her pendelt? (Is das vielleicht das Unterbewusste des konsequenten Veganers Johannes Hepp? Das sich heimlich eben doch nach Fleisch sehnt? Doch das sehnsuchtsvolle nachschauen ist gleichzeitig nichts als ein Kopfschütteln?
Die Erklärung liefert der Künstler nicht. Wahrscheinlich kennt er sie selbst kaum.
Aber ja, eines haben all diese Männer und Frauen gemeinsam: Sie weisen uns Menschen ein bisschen in unsere Schranken, sie zeigen wie lächerlich die Kreatur Mensch auch ist, wie verloren wir oft in dieser Welt stehen. Selbst, wenn wir in einem amtlichen Aktenkoffer wohnen - oder einen herumtragen.
Sich ein wenig hinterfragen - ich finde, das tut Not, in diesen Tagen.
Johannes Hepp, er macht die Bescheidenheit vor - als Mensch, der ernsthaft und zurückhaltend ist, als liebevoller Ehemann und Vater. Und als Künstler.
Seine kinetischen Skulpturen nennt er konsequenter Weise denn auch schlicht „Kisten zum Ziehen“.
Und haben Sie mal seine Bilder gesehen?
Ja, man kann keine Lobrede auf den Bildhauer Johannes Hepp halten, ohne auch seine feinen Zeichnungen zu erwähnen. Tatsächlich entstehen unter diesen großen, kräftigen Kettensägen-Händen auch winzige, filigrane Zeichnungen und Aquarelle voller Poesie, meist ergänzt um minimalistische Bleistiftlyrik.
Schauen Sie sich das mal an auf der Webseite des Künstlers!
Und wenn Sie eine der Figuren aus den Händen von Johannes Hepp nicht mehr loslässt: kaufen Sie sie. Mein Leben ist ein bisschen reicher geworden, seit der Bärenmann bei mir wohnt - und ein bisschen rätselhafter, seit der Kerl ein wenig verloren da herumsteht und keine Antwort gibt - oder viel zu viele.
Ich kann Ihnen also nur gratulieren zur Verleihung des Kulturförderpreises an Johannes Hepp. Wie die Vergangenheit zeigt, dürfte ja spätestens in 19 Jahren dann der Kulturpreis selbst folgen.
Das wünsche ich allen Beteiligten sehr.
Ich stehe natürlich gerne wieder zur Verfügung. Und ich verspreche, auch dann keine flammende Grundsatzrede zu hakten, in der ich den Kultur- und Sport!!- Referenten verunglimpfe ... (Sie sehen, ich habe recherchiert!), ich werde auch nicht die Abschaffung des Kulturpreises fordern.
Nein, ich finde den Kulturpreis gut.
So ein Kulturförderpreis, er fördert ja nicht nur die Kultur, sondern besonders auch die Kulturschaffenden, in diesem Fall Johannes Hepp.
Johannes, ich gratuliere Dir herzlich. Und bei der nöächsten Rede schaff ich’s dann auch, dein erklärtes großes Vorbild Alberto Giacometti einzuflechten - versprochen.
Vielen Dank!
Johannes Hepp & Marcela Boehm
depot.K, Freiburg
Einführung zur Vernissage am 31.05.2019
von Dr. Heike Piehler
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kunstfreunde,
die figurative Kunst hat ihr Terrain längst wieder zurückerobert, das belegt auch die heutige Ausstellung. Darstellungen des Menschen sind für uns allgegenwärtig, weit über die Kunst hinaus: Wir leben in einer Zeit der Erlebniskultur und des ungebremsten Selfiebooms, der Idealisierungen, Stilisierungen und Klischees – in einer Zeit der Fakes und des Scheins. Der Trend der millionenfachen Selbstinszenierungen in den Social Media ist längst Gegenstand soziologischer Forschung.
Man mag darin einen überbordenden Narzissmus unserer Gesellschaft ausmachen, jeder betrachtet sich selbst und erschafft Bilder von sich selbst, mit dem Ziel der Selbstoptimierung. Schaut her, das bin ich! Ob man das dann tatsächlich ist, ist nachrangig. So ist die tagtägliche Selbstzurschaustellung nicht unbedingt Ausdruck eines wachsenden Selbstbewusstseins. Vielmehr wird es zunehmend schwerer, das einzelne Individuum hinter solchen Inszenierungen, Rollenverhalten und Maskierungen zu erkennen oder auch zu enttarnen. Die Person hinter den Stereotypen zu sehen.
Das Individuum und sein Abbild ist zentrales Thema dieser Ausstellung, der Blick auf den Menschen. Beide Künstler verweigern die weit verbreiteten und geradezu symptomatischen Mittel der vermeintlichen Selbst-Repräsentation. Sie befreien die Figur vom Kult der Inszenierungen, auf der Suche nach ihrer Persönlichkeit, nach ihrem Selbst. Und gehen dabei sehr verschiedene Wege.
Johannes Heppist in Werneck (bei Würzburg) geboren, hat sein Bildhauerei-Studium an der Edith Maryon Kunstschule 2012 abgeschlossen und ist freischaffend tätig, zunächst in Würzburg, wo er im vergangenen Jahr mit dem Kulturförderpreis ausgezeichnet wurde, und seit zwei Jahren in Freiburg. An die Edith Maryon Kunstschule ist er als Dozent zurückgekehrt. Er hat schon in etlichen Städten in Deutschland und in der Schweiz in Einzel- und Gruppenausstellungen seine poetischen Holzfiguren gezeigt.
Sie sind klein, eine der kleinsten steht auf einem schwarzen Planeten, und sie wirken vielleicht auch deshalb zart und verletzbar (Planet, Nr. 7). Die meisten Figuren haben eine gerade aufgerichtete Haltung, die Füße entspannt ein wenig nach außen gestellt, vielleicht ein Knie ein wenig gebeugt, die Körperachse minimal verschoben, die Hände zuweilen lässig in den Hosentaschen vergraben. Sie stehen einfach so da, wie man eben so dasteht, sie gestikulieren nicht und sind mit nichts beschäftigt, sie nehmen keine Haltung ein und schon gar keine Posen.
Ihre Kleidung ist individuell, und dabei doch beiläufig, sie sind nicht kostümiert, sie tragen schlichte Shirts, vielleicht einmal einen Ringelpulli oder eine etwas kürzere oder hochgekrempelte Hose, ganz normale Kleidung, was man eben so trägt – oder auch einfach gar nichts, als Aktfiguren – wie der Akt eine Treppe hinabschreitend (Nr. 21), eine Hommage an Gerhard Richter und sein berühmtes Werk Ema (Akt auf einer Treppe)von 1966. Die Figuren sind nicht kostümiert, es sei denn, Johannes Hepp hat ihnen eine Narrenkappe aufgesetzt, oder eine Krone oder einen anderen majestätischen Kopfschmuck, wie bei der Figur auf dem Planeten, oder er hat ihnen ein Tierkostüm geschnitzt, z. B. als Pinguin (Pinguinmänner, Nr. 14), oder sie mit einer Wurst konfrontiert (Büste im Wurstwirbel, Nr. 9; Er kann nicht anders. – Mann einer Wurst hinterher blickend, Nr. 17). Aber selbst dann wirken sie keineswegs inszeniert, sondern blicken ungerührt in die Welt, als wäre auch das ganz normal, als hätten sie sich längst an diese Attribute gewöhnt.
Das Holz, aus dem sie geschnitzt sind – aus einem Stück und untrennbar mit diesem verbunden – gibt ihnen Raum. Johannes Hepp arbeitet mit weichem Holz, das sich gut formen lässt, meist mit Pappel oder Linde. Das Holz ist ihr Ursprung, es definiert sie selbst und ihr Umfeld. Vielleicht ist auch das ein Grund für ihre Authentizität, dafür, dass sie so sind, wie sie eben sind. Das Holz ist immer präsent, die Farben sind dünn in matter Aquarelllasur aufgetragen, die Spuren der Bearbeitung bleiben sichtbar.
Der Künstler hat die Konzeption des Werkes im Kopf, wenn er beginnt, aber die abschließende Gestalt der Figur und ihr Ausdruck, ihr Blick entwickeln sich erst während der Bearbeitung, während er sie sorgsam aus dem Holz herausschält und bemalt. Eine Figur hat er aus einem Eichenquader herausgearbeitet, dessen eigentliches Gewicht nun über der Figur schwebt, „wie ein umgekehrter Sockel“, wie er selbst beschreibt (Über mir ein Wolkenmeer – trotzdem hell, Nr. 5). Aber die schwere Last ist gut ausbalanciert, die fragile Figur hat ihren Raum in dem massigen Volumen des Holzes erhalten und wirkt keineswegs bedrängt oder bedrückt – im Gegenteil, sie steht aufrecht und scheint mit geschlossenen Augen in sich selbst versunken. Andere Werke sind wie Schreine oder Flügelaltäre gearbeitet, auch sie aus einem einzigen zusammenhängenden Holzstück (z. B. Flügelobjekt IV, Mann im Einteiler, Nr. 20). Sie umschließen schützend die Figur und lassen sich aufklappen, um sie freizugeben. Aber selbst diese Skulpturen bleiben untheatral, es öffnen sich Räume, aber keine Kulissen, auch hier ist nichts inszeniert.
Manche Figuren blicken in die Ferne, gleichsam durch den Betrachter hindurch, manche blicken direkt den Betrachter an – und manche Figuren blicken nur manche Betrachter an (weil diese z. B. nicht die richtige Augenhöhe für eine vis-à-vis-Begegnung haben). Der Blick der Figuren und der Blick des Betrachters sind, wie ich meine, das wichtigste Anliegen von Johannes Hepp. Die Begegnung ist immer anders, von Figur zu Figur und von Betrachter zu Betrachter immer individuell. In vielen Figuren spielt der Künstler mit dem Moment der Betrachtung und Begegnung, wenn z. B. Figuren auftauchen und wieder verschwinden, oder wenn von zarten Aktfiguren hinter Stoffbahnen (Frau hinter Stoffbändern, Nr. 25) oder hinter einem Holzpendel (Verdeckter Akt – Mann, Nr. 22) nur kurze Anblicke zu erhaschen sind.
In den Werken von Johannes Hepp wird nichts zur Schau gestellt, und doch weisen seine Figuren eine stoische Präsenz auf, ein „So-Sein“. Sie blicken unverwandt und geradeheraus, erscheinen immer ganz bei sich. „Sie sind in einem Zwischenmoment, zugleich draußen und drinnen“, so charakterisiert sie Johannes Hepp. Sind diese Figuren in ihrer Unaufgeregtheit nicht viel echter, sind sie nicht viel mehr Mensch als die eingangs erwähnten narzisstischen Selbstinszenierungen, mit denen sich unsere Gesellschaft gerade selbst flutet? Schauen Sie sich doch mit dieser Frage einmal seinen Narziss (Nr. 10) an, seine Figur, die sich abwechselnd ihrem eigenen Spiegelbild und dem Betrachter zuwendet. (Die roten Markierungen an den Werken zeigen Ihnen, wo Sie diese Werke bewegen können.)
Eröffnungsrede von Mandy Krüger • 11.10.2018 • Kunsthalle Neuwerk • Johannes Hepp
leichte Verunsicherung 12. bis 21. Oktober 2018
Herzlich Willkommen in der Kunsthalle Neuwerk. Meine Name ist Mandy Krüger und ich darf Ihnen heute die Ausstellung „leichte Verunsicherung“ und den Künstler Johannes Hepp vorstellen.
Und mit Johannes Hepp würde ich auch gern anfangen.
Biografisches
Da man für Gewöhnlich nicht viel über den Alltag eines Künstlers erfährt, aber Johannes Hepp in seinem Katalog einen Einblick gewährt, möchte ich Ihnen diesen nicht vorenthalten:
Sein Tag beginnt meistens früh morgens. Er trinkt gern kalten Kaffee und isst sein Mittag am liebsten mit selbstgeschnitzten Stäbchen. Außerdem kocht, rennt und hört er gern Musik. Wenn meistens vormittags in seinem Atelier die kleinen Aquarelle entstehen, sucht er dabei einen Zustand zwischen Wahrnehmen und Träumerei. Die Aquarelle bilden dabei auch einen Ausgleich zu seinen Holzarbeiten. Einige davon hängen in dem kleinen Raum direkt beim Eingang (37,41). Von einem solchen schnell entstandenen Aquarell, stammt auch der Titel für diese Ausstellung: „leichte Verunsicherung“. Dieses hat er auch mitgebracht und es von hier aus gesehen rechts neben den Eingang gehängt (1).
Am Abend liegt dann meistens der Abschluss einer Arbeit oder etwas Neues in der Luft. Bevor er das Atelier verlässt, schaut er sich die fertigen oder noch im Prozess befindlichen Arbeiten nochmal sehr genau an. Gerne bekommt er hier interessierten Besuch, mit dem er sich über das Wahrgenommene und den eigenen Standpunkt austauscht. Das hilft ihm einen Schritt zu tun, welcher alleine zu gehen ihm vielleicht schwerer möglich gewesen wäre. Dieser Abschluss des Tages im Zwiegespräch deutet bereits an, wie zentral der Betrachter für das Werk von Johannes Hepp ist.
Johannes Hepp wurde 1986 in Werneck geboren und ist seit 2017 in Freiburg als freischaffender Künstler tätig. Davor war er vier Jahre in Würzburg und hat außerdem in der Edith Maryon Kunstschule in Munzingen bei Freiburg Bildhauerei studiert. Mittlerweile ist er als Dozent an die Schule zurückgekehrt. Aus Zuneigung, wie er sagt. Zu unterrichten, individuelle Prozesse zu begleiten und zu beobachten macht ihm Freude. Und es fordert ihn zugleich. Denn als Dozent hat man die Aufgabe, künstlerische Prozesse und Tätigkeiten Worte zu fassen und zu reflektieren. Und das komme nach eigener Aussage letztlich auch seiner eigenen Kunst zugute.
Seine Wurzeln väterlicherseits liegen übrigens hier am Bodensee, in Langenargen. Dort hatte schon der Großvater eine Werkstatt und hat sich in dieser auf vielfältige Weise handwerklich betätigt. Unter anderem auch mit Holz. Das mag später auch zu Johannes Hepps Entscheidung Bildhauerei zu studieren beigetragen haben.
Arbeitsweise
Johanes Hepp arbeitet mit Holz, einem ganz klassischen Bildhauerwerkstoff. Holz kann Spannung, Härte, Weichheit oder Schärfe ausdrücken. Es verhält sich ganz unterschiedlich zu Licht und Raum. Je nach Art reagiert es auch ganz anders auf seine Umgebung und behält meist deutlich die Spuren seiner Bearbeitung durch den Künstler. Wegen dieser Vielseitigkeit wählte Johannes Hepp den diesen Werkstoff. Das Holz bietet ihm viel Raum für seine Ideen und für seinem künstlerischen Weg.
Er sägt zunächst die grobe Form mit der Kettensäge heraus und schnitzt dann von Hand weiter. Diesen Vorgang hat er in
einer seiner neueren Arbeiten „Aus was er
ist“ (Wandobjekt – Junger Mann, 27) zum Teil offen gelegt. Die Holzstücke an der Wand neben der Figur sind die zuvor mit der Kettensäge abgetragenen Fragmente.
In seinen Arbeiten kommen Linden-, Pappel-, Eichen-, aber auch Fichten- und Tannenholz zum Einsatz. Aus verschiedenen Gründen und oft auch einfach weil sie gerade zur Verfügung stehen. Farbig gefasst werden die Arbeiten zum Schluss mit Aquarellfarben.
Johannes Hepp arbeitet ohne Modelle, vereint aber verschiedenste Aspekte ihm bekannter Menschen oder von Erlebtem. Zu der
Arbeit „Hinter mir: Dunkles und
Helles“ (Affenwand und Figur, 5) hier drüben hat ihn ein Traum inspiriert. Von diesem ist besonders das Bild der dunklen Affen mit leuchtenden Augen bei ihm hängen geblieben und er hat es
bereits in verschiedene Form künstlerische aufgegriffen.
Das Objekt „Ich denk an dich, obwohl ich dich nicht kenne“ (Büste mit Innenbüste, 22) besitzt ein Gucklock. Blickt man hindurch, ist eine Fotografie der Großmutter als geschnitzte Objekt im inneren der Figur zu sehen.
Oder neben dem „Mann im Goldpapier (32) hängen links und rechts zwei Fotografien, die aus den Werkstätten des Vaters und Großvaters stammen und dort bereits an der Wand hingen.
Ausstellung
Der Titel stammt wie schon erwähnt von einem der zwischen Wahrnehmen und Träumen entstandenen Aquarelle und kann auf mehrere Arten verstanden werden.
Verunsicherung ist der Ausdruck für eine Irritation; es ist ein Zustand, bei welchem die Gewissheit über etwas verloren gegangen ist. Wenn etwas Unerwartetes passiert ist.
Oft geht auch in der Kunst oder einer Begegnung bzw. einem Erlebnis mit der Kunst eine
Verunsicherung vorweg oder damit einher. Meistens macht das die Kunst ja auch erst spannend.
Was ist schließlich schon wirklich sicher?
Eine leichte Verunsicherung ist Garant für Lebendiges Erleben und Denken, für Hinterfragen. Wenn man eine Situation, eine Begegnung, einen Menschen nicht sogleich durchschaut. Und wenn man als Betrachter eines Kunstwerkes nicht genau weiß, was einen erwartet.
2
Wie die Kistenfiguren die hier zu sehen sind. Man sieht ihnen nicht auf den ersten Blick an, was sich in ihnen verbirgt. Ein schönes Beispiel, an der Wand gegenüber des Bartresens, ist das Werk „Athene und der Bärenmann“ (24). Versenkt man stolze Athene in der Kiste, kommt und ein Mann in einem Bärenkostüm zum Vorschein. Dieser wirkt auf seiner Schaukel im Kontrast zu Athene schon fast komisch und grotesk.
„Athene und Bärenmann“ gehört zu Johannes Hepps ersten Kistenobjekten, die seit 2011 Bestandteil seines Schaffens sind. Mittlerweile gibt es zahlreiche Variationen von ihnen: Mit Deckel, nach unten oder oben geöffnet oder zur Seite verschiebbar. Allen wohnt dabei etwas Unerwartetes inne. Und Gleichzeitig erzeugt die Mechanik oder die Bewegung eine weitere Bedeutungsebene.
Die leichte Verunsicherung bezieht sich nicht nur auf das Unerwartete für den Betrachter. Sie beschreibt hier zugleich auch den Ausdruck der Gefühlslagen, in denen sich Johannes Hepps Figuren zu befinden scheinen. Viele der Figuren in den Arbeiten bewegen sich in unsicheren Situationen. Seine Figuren blicken nicht wirklich fröhlich. Sie strahlen etwas Melancholisches aber zugleich auch Komisches aus. Sie besitzen trotz ihrer geringen Größe eine feine, präzise Mimik. Und einen zarten, sensiblen Ausdruck. Sie blicken gedankenverloren drein, wirken unbeholfen und schutzlos. Die Figuren scheinen wie der Autor der Aquarelle in einem Zustand zwischen Wahrnehmen und Träumen zu schweben.
Werke
Sie sehen, Johannes Hepp hat viele Wandobjekte und einige Skulpturen mitgebracht. Es sind auch ein paar Werke dabei, die er heute zum ersten Mal ausstellt. So zum Beispiel „Elefantenmann, Rüssler“ (23), „Dazwischen: Du“ (Mann hinter dunkler Fläche, 6) und das schon erwähnte „Aus was er ist“ (Wandobjekt – Junger Mann, 27).
Aber auch „Strauß“ und „Sträußin“ (28, 29). Der männliche Part entstand dabei zuerst und ist eine witzige Parodie auf das Zentaur-Motiv. Als Johannes Hepp allerdings das weibliche Gegenstück fertigte, besaß diese Figur für sich allein genommen beinahe etwas obszönes. Das relativierte sich wiederum interessanterweise, als er sie als Paar zusammen ausstellte. So entwicklen seine Figuren manchmal auch ein gewisses Eigenleben.
Wie hier, hat er in dieser Ausstellung immer wieder Männer und Frauen einander gegenübergestellt. Das Mann-Frau-Motiv findet man auch an der Wand, gegenüber des Tresens: Die beiden Werke „Tom“ (Mann mit Feder, 25) und „Rote Beete Sunset Boulevard“ (Dunkelhaarige Frau mit blondem Haar, 26) zeigt er heute zum ersten Mal zusammen. Durch das Attribut Feder beim Mann, das lange Haar der Frau und durch die Farben Blau und Rot entsteht durch die Kombination der ursprünglich eigenständigen Werke ein Spiel mit den Geschlechterrollen.
Bei den jüngeren Arbeiten beginnt Johannes Hepp gefundene Gegenstände einzuarbeiten, was mich sogleich an Readymades erinnerte. Daran musst ich als erstes denken, als ich die Urinalkompositionen gesehen habe, die mich an den Urvater der Readymades, Marcel Duchamp, denken ließ. Eine dieser Urinalkompositionen hängt dort drüber an der Wand: „Astronaut“ (4) . Allerdings interessierte sich Johannes Hepp viel mehr für das Pissoir als raumgebendes Objekt und als schöne Form – wie hier zum Beispiel als Astronautenhelm. Oder hier beim „König im Wasserkasten“ (12): die rosa
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Getränkekiste stammt von einem Strand in Italien und wird zu einer Bühne für eine königliche Figur. Mit diesen Objekte weist er uns auch ein bisschen auf die versteckte Poesie in unserem Alltag hin.
Betrachter und Werk
Der so entstehende Dialog zwischen Betrachter und Figur vollendet die Werke von Johannes Hepp. Die Arbeiten sind auf Interaktion mit dem Betrachter angelegt. Er kann an den Kisten ziehen, Teile der Skulpturen bewegen, sie zum Klingen bringen oder sie beim sich selbst Beobachten beobachten. Was man daraus macht, bleibt dem Betrachter selbst überlassen. Johannes Hepp hat keine Erwartung an diesen – bis auf eine möglichst große Offenheit.
Denn die Kunst ist ein Feld, dass es wie kein anderes ermöglicht, als Mensch berührt und gleichzeitig verunsichert zu werden. Und dabei neue Aspekte in seinem Fühlen und Denken zu erleben und zu entwickeln – ein großes Thema in der Arbeit von Johannes Hepp. Er ist an der emotionalen Spannweite interessiert, welche den Verwandlungsmöglichkeiten und dem Unerwarteten seiner Arbeit innewohnen. Seine Figuren scheinen ein Eigenleben aus den elementarsten menschlichen Regungen zu führen – wie die Verunsicherung. Ein Gefühl, das wir alle kennen. Das zwar befremdlich, aber dennoch eine zutiefst vertraute Facetten unseres alltäglichen Daseins ist.
Also lassen Sie sich überraschen und leicht Verunsichern. Vielleicht entdecken Sie ja auch noch das eine oder andere
Unerwartete.
Dankeschön.
Kunstverein Frauenfeld. Johannes Hepp. Eröffnung: Samstag, 10. Februar 2018.
Einführung: Dr. Antje Lechleiter©, Freiburg
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Sehr geehrte Damen und Herren,
Johannes Hepp ist ein Künstler, der das Haptische, das Plastisch-Dingliche liebt und sich dabei des klassischen Bildhauerwerkstoffs Holz bedient. Er wurde in Werneck bei Würzburg geboren, seine Ausbildung erfuhr er an der Edith Maryon Kunstschule für Bildhauerei in Munzingen. Inzwischen ist er dorthin als Dozent mit dem Schwerpunkt "Schnitzen" zurückgekehrt. Johannes Hepp lebt und arbeitet in Freiburg.
Mit rund 60 Werken können wir einen kleinen Überblick über seine künstlerische Entwicklung erlangen, der überwiegende Teil der ausgestellten Werke ist jedoch ganz neu und entstand im vergangenen Jahr.
Die "Kistenobjekte" gehören zu den frühesten Werken der Ausstellung. Hier stach Hepp mit der Kettensäge zunächst in den Holzblock hinein und löste den mittleren Teil heraus. Dieser verblieb in der Kiste und ist verschieb- aber nicht herausnehmbar. Anschließend wurden verschiedenste Figuren aus dem Innenstück heraus geschnitzt. Diese Kistenobjekte gibt es in ganz verschiedenen Variationen. Es gibt sie mit Deckel, es gibt seitlich verschiebbare sowie nach oben und unten hin geöffnete, es gibt Kisten zum Ziehen und Schieben. Ihre Bewegbarkeit birgt ein hohes Verwandlungspotenzial und verweist nicht zuletzt auf die dem Holz innewohnende Gleichzeitigkeit von Ruhe und Dynamik.
Im vergangenen Jahr begann der Künstler damit, gefundene Objekte mit seinen Holzskulpturen zu kombinieren. In Freiburg werden oftmals Kisten mit ausrangierten Gegenständen zum Mitnehmen an die Straße gestellt, fündig wurde er auch in Brockenhäusern. Durch die Zusammenfügung entsteht eine magisch strahlende Skulptur, ein Fetisch aus Alltagsprodukt, plastischer Intensität und Skurrilität. Und je stärker die Transformation, desto brillanter die Ironie. Ein schönes Beispiel für diese Werkgruppe finden Sie auf Ihrer Einladungskarte. Der alte, blaue Werkzeugkasten hat Hepp begeistert, denn er lässt sich wie ein mittelalterlicher Flügelaltar öffnen und verschafft dem modern bekleideten König, der angesichts seines Umfeldes etwas skeptisch dreinblickt, einen spektakulären Auftritt. Ein besonderer Witz steckt natürlich in der Umkehrung der Größenverhältnisse, das sehen Sie auch drüben im Raum 2 bei dem Mann im Koffer. In diesem Fall gab es den Koffer zuerst und Hepp reagierte auf seinen Fund mit einer eigenen Gestaltung. Da sich Form, Material und Bedeutung in seinen Arbeiten aber stets gegenseitig bedingen, gibt es auch den umgekehrten Weg, etwa bei der Frau mit der Federkrone im Raum 1. Hier existierte die kleine Holzskulptur bereits und dann entdeckte der Künstler die Abbildung der grünen Krone in einer Kunstzeitschrift. Sie zog ihn auf eine geheimnisvolle Weise an und als er diesem Gefühl nachspürte, erkannte er, dass dieser Kopfschmuck wie für seine kleine Skulptur bestimmt war. In einem nächsten Schritt erforschte er, welche Auswirkungen weitere Veränderungen auf den Gesamteindruck der Holzskulptur haben könnten. Er fertigte eine Reihe von Gipsabgüssen an und versah sie mit verschiedenartigen Kopfbedeckungen. Teilweise wirken diese kostbar wie Heiligenscheine, bei genauerem Hinsehen entpuppen sie sich jedoch als etwas ganz Banales: Als die Reste von eingetrockneten Farben. Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deswegen: Hepp präsentiert diese Figuren wie kleine Preziosen geschützt in einem mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Vitrinenkasten.
Indem einige seiner Objekte bewegt oder zum Klingen gebracht werden können, sind sie auf die Interaktion mit dem Betrachter angelegt. Damit hebelt der Künstler ganz bewusst die klassische Vorstellung vom Bildbetrachter aus, der still und andächtig vor einem stillen und unbewegten Kunstwerk zu verweilen habe. Ziehen Sie also ruhig an dieser Büste und verwandeln Sie den seriösen Herrn in einen Punk mit Irokesenschnitt. Hepp ist an der emotionalen Spannweite interessiert, welche diesen Verwandlungsmöglichkeiten innewohnt und in gewisser Weise vollendet erst der Dialog zwischen dem Betrachter und der Figur sein Kunstwerk.
Diese Freude am Spiel mit der Verwandlung, an einer überraschenden Janusköpfigkeit, offenbart sich auch in dem Spiegelobjekt mit dem Zentaur. Das Mischwesen scheint einen kostbar vergoldeten Heiligenschein zu tragen, doch blickt man auf die Spiegelung, dann zeigt sich die Täuschung: Der Nimbus besteht nur aus Pappe. Bild und Abbild lässt uns hier die Doppeldeutigkeit des Wortes „Reflexion“ erleben, das eben nicht nur das Zurückwerfen von Licht und Schall, sondern auch Überlegung, Betrachtung und vergleichendes Denken meint.
Etwas, das wesentlich zum Verständnis der Werke von Johannes Hepp beiträgt, ist das in ihnen verhandelte Verhältnis von Sockel und Figur. So geht es bei seinen Kistenobjekten, sowie bei seinen Wand- und Stammlehnern um die Frage, was der Sockel mit einer Figur macht und welche Auswirkungen er auf die solchermaßen "erhobene" figürliche Gestaltung hat. In dieser Frage steht Hepp in einem permanenten Austausch zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, also einer Interpretation der Geschichte der Bildhauerei einerseits und der zeitgenössischen Erforschung ihrer Essenz andererseits. Denn traditionell wurde der Sockel nicht als Teil des Werkes betrachtet, sondern diente dazu, die skulpturale Figur aus dem "realen" Raum in den Kunstraum zu transportieren bzw. sie auf diesen zu projizieren. Diese Funktion des Sockels verlor im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung, die Moderne hat den Sockel als solchen oftmals überflüssig werden lassen, indem die Werke ebenerdig, dem Betrachter vis-à-vis gegenüber traten. Hepp geht anders vor. Er trennt nicht zwischen Sockel und Skulptur und er verzichtet auch nicht auf diese Präsentationsfläche, sondern macht sie zum integralen Bestandteil des Werkes. Damit spielt Hepp mit der überkommenen Vorstellung, dass der Sockel die Macht besitzt, alles auf ihm Gezeigte zur Kunst zu erheben. Er ironisiert die Tradition des klassischen Standbildes, das für die Ewigkeit bestimmt ist. Wie fragil das Stehen auf einem Sockel von Johannes Hepp sein kann, sehen Sie bei dem Mann, unter dessen Podest ein kleines Rad angebracht ist, bei dem Mann auf dem Rollbrett und bei dem schwarz Gekleideten, dessen Sockel durch einen dicken Keil in Schräglage geraten ist. Die von Hepp "Erhobenen" befinden sich also in einem ausgesprochen labilen Gleichgewicht, in einem Übergangsfeld zwischen noch nicht und nicht mehr.
Johannes Hepp arbeitet, bis auf eine Werkgruppe, die ich gleich noch ansprechen werde, ohne Modelle. Dennoch sehen wir Männer und Frauen, die mit ihren verschiedenen Gesichtern, Frisuren und Körpern, sowie über die Art ihrer Bekleidung über sehr individuelle Personenmerkmale verfügen. Diese Figuren entstehen während der Arbeit am Holz, und in ihnen vereinen sich die verschiedensten Aspekte ihm bekannter Menschen. Sehr zurückhaltend sind die Gesten, mit denen diese Figuren vor uns treten und dazu passt, dass Hepp seine Arbeiten nicht mit leuchtenden Acryl- oder glänzenden Ölfarben fasst, sondern sie mit Aquarellfarbe zart überzieht. Auf diese Weise erzielt er eine sanfte und durchschimmernde Haut welche die Oberfläche nicht versiegelt, sondern die sich aus dem Holz hervor wölbenden Körper atmen lässt.
Die gerade erwähnte Ausnahme finden Sie im hinteren Raum, wo er so etwas wie eine Ahnenwand gestaltet hat. Im Zentrum befindet sich eine Fotografie seiner Urgroßmutter und rechts daneben hängt ein kleiner Objektkasten, der diese Aufnahme bildnerisch umsetzt. Mich begeistert, wie selbst in diesem kleinen Format eine kraftvolle, uns ganz und gar einnehmende, elementare Echtheit entsteht. Wir spüren die Präsenz unseres Gegenübers und damit spüren wir auch uns selbst. So geht es Hepp in diesen Monumenten der Stille nicht nur um Erinnerung an sich, sondern auch um den Umgang mit Erinnerung. Hepp blickt zurück und ergründet sich selbst im Zusammenhang von Ort, Zeit, Vergangenheit, Gegenwart und Imagination.
Dass ein Holzbildhauer zeichnet oder druckt ist nicht ungewöhnlich, dass er aber aquarelliert kommt nicht oft vor. Für Hepp sind seine Aquarelle aber eine wichtige Ergänzung zu den dreidimensionalen Arbeiten. Sie entspringen seiner Sehnsucht nach einer weiteren Art des künstlerischen Ausdrucks und werden aus einer ganz anderen inneren Quelle gespeist als die Skulpturen. So zeigt sich in ihnen, dass ihm das beigefügte Sprachbild genauso wichtig ist, wie die bildhafte Darstellung. Es war dem Künstler wichtig, diese Arbeiten auf Papier mit den Skulpturen zu verweben, um diese Ausstellung zu einem einziges, großes Bild werden zu lassen.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Holzskulpturen von Johannes Hepp setzen sich mit zentralen Fragen der bildhauerischen Tradition auseinander. Sie beschäftigen sich mit dem Thema "Sockel", befragen die Holzskulptur hinsichtlich ihres Zwangs zur Unveränderlichkeit und beleuchten die Rolle des Betrachters. Außerhalb dieser grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Thema "Skulptur" machen sie aber noch etwas anderes: Sie beschwören uns allen wohlbekannte Zustände der menschlichen Existenz und Empfindung.
Eröffnungstext Katalog, Johannes Hepp 2012 - 2015
Jonas von Knobelsdorff
Ein Ausstellungsraum vielgestaltiger Holzplastiken. Zarte Figuren im andrängenden Licht der Industriehalle. In ihrer sanften Farbigkeit offenbaren sie ihre Sensibilität den Weiten des Raumes.
Die unmittelbare Materialentfaltung und die Präzision des mimischen Ausdrucks verleihen Johannes Hepps Figuren auf eigenwillige Weise ihre Prägung. Jede Figur setzt sich auf ihre individuelle Art mit Objekten, Mechaniken, Attributen oder Architekturen auseinander.
Manche Figuren sind in mechanisierenden Kisten gebunden, als hätte der Sockel die Skulptur verschlungen und würde sie in ein Vexierspiel aus Licht und Schatten, Wachheit und Schlaf verwickeln. Andere stehen schlicht mitsamt ihres Sockels an die Wand gelehnt.
Dabei schafft der Ausdruck der Figuren einen intimen Raum der Stille und Abgeschiedenheit. In zurückgezogenen oder exponierten Positionen geben sie sich preis. Dem Betrachter kommt dies mit einem Anflug von Voyeurismus zu Bewußtsein. Die persönliche Begegnung führt zur Verinnerlichung, die Figur und Betrachter beiderseits auf sich selbst zurückwirft.
Johannes Hepps Figuren führen ein Eigenleben. Sie durchleben elementare menschliche Regungen und eröffnen damit Künstler und Betrachter eine Spielfläche stiller Tragik, subtilen Humors, trotzigen Pathos und fortwährender Sehnsucht.
"Individualisierte Archetypen" betreten den Raum der Begegnung und Auseinandersetzung.
Vermenschlichte Tierwesen, maskierte Menschenwesen, Figuren in mechanischen Bewegungsabläufen: Allesamt scheinen sie damit beschäftigt, sich auf melancholisch skurrile Weise zu hinterfragen. Und so vermischt sich in diesen Gestalten oftmals Ernst mit der Komik scheinbarer Unbeholfenheit. Durch die Arbeiten darf der Betrachter einen Blick auf die erheiternden und bedrückenden, befremdlichen und doch zutiefst vertrauten Facetten des alltäglichen Daseins richten.
Eröffnungsrede Kunstverein March, 10. Februar 2017
Dr. Antje Lechleitner
Sehr geehrte Damen und Herren,
Johannes Hepp ist ein Künstler, der das Haptische, das Plastisch-Dingliche liebt und sich dabei des klassischen Bildhauerwerkstoffs Holz bedient. Er wurde in Werneck bei Würzburg geboren, seine Ausbildung erfuhr er an der Edith Maryon Kunstschule für Bildhauerei in Munzingen. Inzwischen ist er dorthin als Dozent mit dem Schwerpunkt "Schnitzen" zurückgekehrt. Johannes Hepp lebt in Freiburg.
In dieser Ausstellung zeigt er einen Überblick über die Werke der vergangenen 6 Jahre. Die früheste Arbeit, das Kistenobjekt Nr. 1, (steht hier im Raum) datiert auf 2011 und entstand noch als Student während eines Moduls bei CW Loth an der Munzinger Bildhauerkunstschule. Mit der Kettensäge stach Hepp zunächst in den Holzblock hinein und löste den mittleren Teil heraus. Dieser ist nun in der Kiste verschieb- aber nicht herausnehmbar. Anschließend wurde der nackte Mann mit den Badeschlappen aus dem Innenstück heraus geschnitzt.
Wie Sie sehen, gibt es inzwischen ganz verschiedene Variationen dieser Kistenobjekte. Es gibt sie mit Deckel, es gibt seitlich verschiebbare sowie nach oben und unten hin geöffnete, es gibt Kisten zum Ziehen und Schieben. Diese Bewegbarkeit birgt ein hohes Verwandlungspotenzial und verweist nicht zuletzt auf die dem Holz innewohnende Gleichzeitigkeit von Ruhe und Dynamik.
Es gibt einige Kisten, bei denen wir durch einen Türspion ins Innere sehen können. So etwa bei der Arbeit "Vater tot" (oben). Sie entstand, nachdem Hepps Vater im Jahr 2012 verstorben war. Zunächst beschäftigte sich der Künstler in mehreren Reliefs und Zeichnungen mit dessen Gesicht, 2013/14 entstand dann die hier gezeigten Arbeit, die gleichzeitig einen Schlusspunkt hinter Hepps künstlerische Auseinandersetzung mit diesem einschneidenden Ereignis setzte. Nun hatte er zu einem für ihn stimmigen Erinnerungsbild gefunden.
Die flexiblen Kistenobjekte dürfen vom Betrachter bewegt werden, und dabei verändert sich der Ausdruck der Figuren ganz entscheidend. Der nackte Mann mit den vor der Brust verschränkten Armen aus der Kiste Nr. 1 steht beispielsweise ausgesprochen selbstbewusst auf seinem Kistensockel, wird jedoch in ihn hinein versenkt, blickt er eher betreten und verunsichert aus seinem Gehäuse hervor.
Das Überraschungsmoment, das diesen Verwandlungen innewohnt resultiert also zu einem wesentlichen Teil aus dem Verhältnis von Sockel und Figur. So geht es bei seinen Kistenobjekten, seinen Wand- und Stammlehnern, auch bei diesen vier Arbeiten der Serie "Planeten" um die Frage, was der Sockel mit einer Figur macht und welche Auswirkungen er auf die solchermaßen "erhobene" figürliche Gestaltung hat. Letztendlich gilt es auch für die großen Tierköpfe, bei denen die damit maskierte Person quasi selbst zu einem hochmobilen Sockel wird. Vollkommen unbefangen spielt Hepp hier mit der überkommenen Vorstellung, dass der Sockel die Macht besitzt, alles auf ihm Gezeigte zur Kunst zu erheben. Er ironisiert die Tradition des klassischen Standbildes, zeigt, dass jede Macht lächerlich ist. Natürlich muss sein König (oben neben der Wand mit den Aquarellen) daher ganz ohne Sockel auskommen. Seine Autorität ist gemeinsam mit der Körpergröße auf Zwergenformat geschrumpft, und wir blicken auf ihn wie auf eine Witzfigur herab.
Johannes Hepp arbeitet ohne Modelle, dennoch sehen wir Männer und Frauen, die mit ihren verschiedenen Gesichtern, Frisuren und Körpern, sowie über die Art ihrer Bekleidung über sehr individuelle Personenmerkmale verfügen. Diese Figuren entstehen während der Arbeit am Holz, und in ihnen vereinen sich die verschiedensten Aspekte ihm bekannter Menschen. Sehr zurückhaltend sind die Gesten, mit denen diese Figuren vor uns treten und dazu passt, dass Hepp seine Arbeiten nicht mit leuchtenden Acryl- oder glänzenden Ölfarben fasst, sondern sie mit Aquarellfarbe zart überzieht. Auf diese Weise erzielt er eine sanfte und durchschimmernde Haut welche die Oberfläche nicht versiegelt, sondern die sich aus dem Holz hervor wölbenden Körper atmen lässt.
Ob König oder Narr, eine gewisse Tragik-Komik wohnt vielen seiner Figuren inne. Diese Janusgesichtigkeit reizt ihn ungemein, und gerne arbeitet er daher auch mit Mischwesen aus Tier und Mensch. Das nahm seinen Ausgang mit den "Bärengeschichten", die in Zusammenarbeit mit einem Fotograf entstanden. Menschen mit einer Bärenmaske auf dem Kopf wurden dabei in verschiedensten Situationen aufgenommen. Eine dieser Aufnahmen ist diese nackte "Bärenfrau", die vor einer Felswand auf einem Stein steht.
Sicherlich ahnen Sie bereits, dass Hepps Konzept auch in den Bereich des Performativen hineinreicht: Auf seiner Homepage kann man eine Installation mit dem Titel "Konferenz der Tiere" sehen, die im vergangenen Jahr geschaffen wurde. Vier Tiermasken aus Holz hingen in einem Wald bei Welzheim von den Bäumen herab. Der Betrachter konnte sich unter die Masken stellen oder setzen und wurde Teil eines Bären, Löwen, Elefanten und Gorillas.
Ist der Mann im Bärenkostüm bärenstark? Ist er süß wie ein Teddy oder wirkt er einfach nur lächerlich? Hepp ist an der emotionalen Spannweite interessiert, die diesen Verwandlungsmöglichkeiten innewohnt und in gewisser Weise vollendet erst dieser Dialog zwischen dem Betrachter und der Figur sein Kunstwerk.
Noch etwas anderes möchte ich erwähnen: Hepp begegnet dem, was wir als menschliche Schönheit bezeichnen, mit der ihm eigenen, unverwechselbaren Form- und Materialsprache. Das Figurative steht bei ihm nicht für das Ideale, wie es etwa von den Bildhauern der griechischen Klassik, der Renaissance oder des Klassizismus angestrebt wurde. An einem perfekt gestalteten Körper gepaart mit innerer Ruhe und Gelassenheit ist er nicht interessiert. Wir sehen hier gealterte, untersetzte, ja übergewichtige Männer und Frauen, von denen oftmals eine leichte Melancholie ausgeht. Dazu kommen die beim lebendigen Material Holz unvermeidlichen Risse, Ecken und Kanten. So erleben wir auch in diesen kleinen Formaten eine kraftvolle, uns ganz und gar einnehmende, elementare Echtheit. Wir spüren die Präsenz unseres Gegenübers und damit spüren wir auch uns selbst.
Während es in seinen Kistenobjekten auch um das Konstruktive des Gehäuses ging, rückt dieser Bereich inzwischen etwas in den Hintergrund. Sie sehen dies bei der Abbildung Ihrer Einladungskarte. Hier scheint das Boot Kiste, Sockel und Schutz der figürlichen Darstellung zu sein. Sieht man das Werk jedoch in der Ausstellung, dann stellt sich die Situation ganz anders dar: Das Schiffchen materialisiert sich nur zur Hälfte und es gibt nur einen Bootsinsassen, der sich nachdenklich im Spiegel betrachtet. Sein Bild und sein Abbild lässt uns die Doppeldeutigkeit des Wortes „Reflexion“ erleben, das eben nicht nur das Zurückwerfen von Licht und Schall, sondern auch Überlegung, Betrachtung und vergleichendes Denken meint.
Diese Arbeit ist ein gutes Beispiel für das, was Hepp in der letzten Zeit zunehmend umtreibt. Immer wieder fragt er sich nämlich, welche Auswirkungen kleinste gestalterische Eingriffe an der Haltung einer Figur oder an ihrem Gesichtsausdruck haben. Das Thema "Portrait" wird für ihn zunehmend wichtiger und er könnte sich gut vorstellen, künftig mit Modellen zu arbeiten und auch ins große Format zu gehen. Darin kann ich ihn nur bestärken! Gerade das schwarze Affenrelief mit den funkenden Augen, das oben angeleuchtet steht, würde ich zu gerne als riesige, wandfüllende Rauminstallation sehen.
Dass ein Bildhauer zeichnet oder druckt ist nicht ungewöhnlich, dass er aber aquarelliert kommt nicht oft vor. Für Hepp sind seine Aquarelle aber eine wichtige Ergänzung zu den dreidimensionalen Arbeiten. Sie entspringen seiner Sehnsucht nach einer weiteren Art des künstlerischen Ausdrucks und werden aus einer ganz anderen inneren Quelle gespeist als die Skulpturen. 16 dieser kleinformatigen Blätter hängen oben in der Ausstellung und an ihnen zeigt sich, dass in diesen Werken das beigefügte Sprachbild genauso wichtig ist, wie die bildhafte Darstellung.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Holzskulpturen von Johannes Hepp führen mitunter in eine traumhaft verwandelte Welt, nichts desto trotz beschwören sie uns allen wohlbekannte Zustände der menschlichen Existenz und Empfindung. In der Serie der Kistenobjekte pflegt der Künstler eine bewusste Auseinandersetzung mit der bildhauerischen Tradition des 20. Jahrhunderts. Das Konstruktive trifft dabei auf das Figürliche. Doch auf wundersame Weise sind diese gegensätzlichen bildhauerischen Ideen und Konzeptionen in seinen Werken erstaunlich kompatibel.